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08.04.1924: Abschaffung der Scharia in der Türkei


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Am 08. April 1924 wurde im Zuge der Atatürk-Reformen Mustafa Kemals die Scharia in der Türkei abgeschafft. Das Land sollte sich von nun an politisch und kulturell am Westen orientieren.

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Abschaffung der Scharia in der Türkei, Bild: Gegenfrage.com

An diesem Tag im Jahr 1924 wurde im Zuge der Atatürk-Reformen mit dem Gesetz „Mehakim-i Şer’iyenin İlgasına ve Mehakim Teşkilatına Ait Ahkami Muaddil Kanun“ die Scharia in der Türkei abgeschafft. 1926 führte Atatürk zudem den gregorianischen Kalender ein. 1928 wurde der Islam als Staatsreligion abgeschafft.

Durch Atatürks Reformen (Türkisch: Atatürk Devrimleri) wurden eine Reihe politischer, rechtlicher, kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Veränderungen vorgenommen. Diese wurden konzipiert, um die neue Republik Türkei in einen säkularen, modernen Nationalstaat zu konvertieren. Dabei orientierte sich Atatürk angeblich stark am Recht in der Schweiz.

Im Mittelpunkt dieser Reformen stand die Überzeugung, die türkische Gesellschaft müsse sich politisch und kulturell am Westen orientieren. Die Reformen wurden unter der Leitung von Mustafa Kemal nach der kemalistischen Ideologie implementiert.



Begonnen wurde mit der Modernisierung der Verfassung von 1924, welche die Verfassung von 1921 ersetzte und an die europäische Rechtssprechung angelehnt war. Auch die Verwaltung und das Bildungssystem wurden umfangreich reformiert. Zehn Jahre später wurde Kemal durch das türkische Parlament der Nachname „Atatürk“ verliehen, was „Vater der Türken“ bedeutet.

Osmanisches Reich

Im Osmanischen Reich genoss jede Religionsgemeinschaft durch das Millet-System ein hohes Maß an Autonomie. Es herrschten mehrere religiöse Rechtssysteme, wie die islamische Scharia, das katholische Kirchenrecht oder die jüdische Halacha.

Die Scharia („Weg zur Quelle“ bzw. „Weg zu Allah“) ist das wichtigste Gesetz im Islam und wird heute im Allgemeinen mit sehr harten Strafen verbunden. Doch umfasst die Scharia weit mehr als nur harte Strafen und ist kein einzelnes Gesetzbuch. Es setzt sich aus vielen verschiedenen Quellen zusammen, hauptsächlich dem Koran und Überlieferungen islamischer Rechtsgelehrter.

Zudem gibt es verschiedene Auslegungen der Scharia, die von moderat bis streng reichen. Die Scharia regelt die Beziehung der Menschen zu Gott sowie die Beziehung der Menschen untereinander und stellt sich selbst über alle anderen Gesetze.

Sie findet auch heute noch mit voller Gültigkeit in folgenden Ländern Anwendung: Mauretanien, Sudan, Jemen, Saudi-Arabien, Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan. Allerdings bedeutet dies nicht zwingend, dass in diesen Ländern ausschließlich Jahrhunderte alte Gesetze angewandt werden. Neue Gesetze müssen dann lediglich mit der Scharia zu vereinbaren sein.

Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam

Im Jahr 1990 beschloss die Organisation der Islamischen Konferenz die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam, das islamische Gegenstück zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Die Inhalte der beiden konkurrierenden Erklärungen sind jedoch teilweise ähnlich.

Die islamische Version bezieht sich allerdings auf die Scharia, was einige Einschränkungen mit sich bringt. Beispiele: Etwa das „Recht auf Leben“ oder auf „körperliche Unversehrtheit“, was jedem Menschen garantiert wird. Außer eben, wenn die Scharia etwas anderes vorschreibt.

Im Jahr 1994 verabschiedete die Arabische Liga die „Arabische Charta der Menschenrechte“. Im Jahr 2004 wurde diese überarbeitet. Die Charta erkennt sowohl die UN-Erklärung als auch die Kairoer Erklärung an.

Rückkehr zur Scharia in der Türkei?

Der regierenden AKP wurde bereits des öfteren eine Islamisierung der Partei vorgeworfen. Die Anzahl der Moscheen in der Türkei stieg von 2000 bis 2010 von 77.000 auf 86.000. Die Anzahl der Schüler an İmam-Hatip-Schulen stieg sogar von 65.000 auf eine Million.

Im Jahr 2016 forderte der türkische Parlamentspräsident die Streichung des von Atatürk eingeführten Säkularismus aus der Verfassung. Immer wieder ist von einer „Neuen Türkei“ die Rede, da man die Verbindung zum Westen zunehmend als unvorteilhaft empfindet. Oft wird der türkischen Regierung auch vorgeworfen, die Türkei „zurück ins Mittelalter“ bringen zu wollen.

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2016 liegt die Unterstützung für die Scharia in der Türkei jedoch bei nur rund zehn Prozent. Die Einführung der Scharia würde sicherlich an der Abschaffung des kemalistischen Systems Atatürks scheitern, sind sich viele Experten sicher. Zu groß wäre der Widerstand aus der Bevölkerung.

Eine Rückkehr zur Scharia in der Türkei gilt derzeit darum als eher unwahrscheinlich.

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, wikipedia
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