Am 16. April 1922 unterzeichneten die ehemaligen Kriegsgegner Deutschland und Russland den Vertrag von Rapallo. Zu den Hintergründen des Vertrags gibt es verschiedene Sichtweisen.
An diesem Tag im Jahr 1922 unterzeichneten Deutschland und Russland, die ehemaligen Gegner aus dem Ersten Weltkrieg, den Vertrag von Rapallo. Beide Länder waren aus dem Völkerbund ausgeschlossen worden, was wie ein Katalysator für die Unterzeichnung dieses Pakts wirkte.
Die Westmächte waren von diesem Abkommen überrascht. Als Deutschland 1918 den Vertrag von Brest-Litowsk ausarbeitete, sah sich Russland gezwungen, große Landflächen abzutreten. Mit dem Vertrag von Rapallo gaben die beiden Länder ihre territorialen und finanziellen Abkommen aus Brest-Litowsk wieder auf.
Stattdessen vereinbarten Berlin und Moskau, „im Geist des beiderseitigen Wohlwollens bei der Erfüllung der wirtschaftlichen Bedürfnisse beider Länder zusammenzuarbeiten“. Der Vertrag von Rapallo war insbesondere für Russland von enormer Bedeutung, da es sich dabei um die erste internationale Anerkennung der Bolschewiki als offizielle Regierung handelte.
Noch wertvoller waren jedoch für beide Vertragsparteien die geheimen Militärklauseln. Deutsche Fabriken, welche Militärgüter herstellten, konnten nach Russland umziehen, wodurch der Vertrag von Versailles umgangen werden konnte.
Darüber hinaus führten die beiden Armeen gemeinsame Übungen tief im russischen Landesinneren durch. Damit konnte die deutsche Armee die im Rahmen des Versailler Vertrags verbotene Militärtechnik wie Panzer und Kampfflugzeuge weiter nutzen.
Die Russen erhielten im Gegenzug Einblick in westeuropäische Militärtechnologie und die Möglichkeit, mit deutschen Ingenieuren zusammenarbeiten. Die hier von den Deutschen bereitgestellten Technologien bildeten das Fundament von Stalins Fünfjahresplan.
Der Rapallo-Vertrag alarmierte die Westmächte, aber die Gefahr war nur von kurzer Dauer. Mitte der 1920er Jahre hatte Deutschland unter Stresemann begonnen, die Beziehungen zum Westen im Rahmen der Verträge von Locarno zu verbessern. Das Bündnis mit Russland war damit nicht mehr von großer Bedeutung.
Andere Betrachtung
Der Vertrag von Rapallo hatte nach der Deutung einiger Historiker eher weniger mit „Intrigen gegen den Westen“ zu tun. Eher handelte es sich dabei um das Ergebnis einer dramatischen diplomatischen Situation, die sich während der internationalen Wirtschaftskonferenz in Genua (10. April – 22. Mai 1922) entwickelte.
Dort versuchten alle Delegationen, ihre eigenen nationalen finanziellen Vorteile in der sogenannten russischen Frage zu sichern. Die führenden Mitglieder der deutschen Delegation, die sich auch mit dieser Frage konfrontiert sahen, behaupteten, sie handelten aus „finanzieller Notwehr“.
Dementsprechend verhandelten sie den bereits seit Februar 1922 vorbereiteten deutsch-sowjetischen Vertrag neu. Der Vertrag wurde in der „Oval Hall“ des „Imperial Palace Hotel“ im heutigen Santa Margherita Ligure unterzeichnet, dem zeitweiligen Wohnsitz der russischen Delegation während dieser Zeit.
Der deutsche Außenminister Walther Rathenau, der führende deutsche Diplomat Ago von Maltzan und der deutsche Reichskanzler Joseph Wirth hatten tatsächlich Recht damit, ihren „Rapallo-Schritt“ zu rechtfertigen. Insbesondere in Bezug auf das britische und italienische Konferenzmanagement.
Unter Bezugnahme auf Artikel 116 (3) des Versailler Vertrags hatten die Alliierten im so genannten „Londoner Memorandum“ vergeblich versucht, Deutschland davon abzuhalten, ihre eigenen finanziellen und wirtschaftlichen Interessen zu vertreten.
Sowjetrussland sollte in das Schuldnersystem des Versailler Vertrags eingebunden und Deutschland noch weiter geschwächt werden.
Es gibt noch eine andere Sicht der Dinge, die obigem aber nicht unähnlich ist.
Wir gehen immer vom Waffenstillstandsabkommen vom Dezember 1917 aus. Im folgenden Friedensvertrag von Brest-Litowsk hatte die Oberste Heeresleitung (OHL) einen für Deutschland sehr vorteilhaften Grenzverlauf durchsetzen können, welcher sich am Frontverlauf vom Dezemberabkommen orientierte.
Nach dem politischen- und dann auch militärischen Zusammenbruch Deutschlands war die junge Sowjetmacht nicht mehr willens dies länger hinzunehmen. Die Gespräche zogen sich auch deshalb in die Länge, weil die politische Situation in Deutschland auch 1922 immer noch nicht in ruhigen Bahnen verlief. Ich erinnere da nur an die Besetzung des Ruhrgebietes durch französische Truppen um die Kohlelieferungen mitten im Winter zu erzwingen.
Als dann im italienischen Rapallo endlich die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen wieder reaktiviert wurden,
wurde auch diese Grenzziehung zugunsten der Sowjets rückgängig gemacht. Die Grenzziehung von Brest-Litowsk halte ich für einen Fehler Deutschlands und für einen Gewinn, denn das brachte 1922 die Russen wieder an den Verhandlungstisch.
Zitat: „… der führende deutsche Diplomat Ago von Maltzan und der deutsche Bundeskanzler Joseph Wirth …“
Es gab damals keinen Bundeskanzler, sondern einen Reichskanzler.
Hoppla, kleiner Faux Pas. Korrigiert, danke!
Die Wahrheit ist die, dass nach dem Zusammenbruch der russischen Armeen die neue bolschewistische Regierung die Vorschläge Deutschlands zur Beendigung des Krieges im Osten akzeptierte. Das war der Vertrag von Brest Litowsk, welcher im August 1918 von beiden Seiten unterschrieben wurde. Dieser Vertrag war deutlich freiwilliger für die Sowjets, als es beispielsweise der erzwungene Vertrag von Versailles für die neue Reichsregierung war.
Und doch erzwangen die Sowjets nach dem Zusammenbruch der deutschen Armeen und dem Rücktritt des Kaisers einen neuen und vorteilhafteren Vertrag.
Hätten sich die Kommunisten in der Sowjetunion in den Zwanziger Jahren weniger um den Sturz der Regierung in Berlin bemüht, hätten auch die bürgerlichen Regierungen nach 1922 in „sowjetische Karte“ ziehen können und so die furchtbaren Zwangsmaßnahmen der Sieger (über zweieinhalb Millionen Deutsche verhungerten, weil Frankreich nicht nur Kohlen, sondern auch Kartoffeln im Ruhrgebiet und im Rheinland beschlagnahmten).