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11.01.2002: Erste Häftlinge in Guantanamo Bay


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Am 11. Januar 2002 erreichten die ersten Häftlinge das US-Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base. Viele der Gefangenen waren alles andere als Terroristen, sondern irgendwelche Personen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren oder an die US-Soldaten gegen ein Kopfgeld verkauft wurden. Achtung, im Text befinden sich einige verstörende Zeugenaussagen.

Guantanamo
Guantanamo, Bild: Gegenfrage.com

An diesem Tag im Jahr 2002 erreichten die ersten Häftlinge das US-Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base auf Kuba. Von dem Moment an, als die erste Busladung Gefangener in dem amerikanischen Militärgefängnis eintraf, wusste US-Militärpolizist Brandon Neely, dass etwas falsch lief. „Als ich zu Beginn von meinem Einsatz in Guantanamo erfuhr, war ich bereit, den gefährlichsten Männern der Welt entgegenzutreten.“

„Jenen Terroristen, die am 11. September tausende Menschen in meinem Land getötet haben“, erinnerte sich der ehemalige Armeespezialist. „Ich war bereit, mich persönlich an diesen Leuten zu rächen so gut ich konnte.“

Doch änderte Neely seine Meinung schnell. Die Gefangenen wirkten nicht wie extrem gefährliche Schlächter, sondern wie ein trauriger Haufen. Der erste Gefangene, dem er begegnete, hatte nur ein Bein. Die Wächter nannten ihn abfällig „Stumpy“ (deutsch: „Stummel“).



„Das sollten die bösesten Menschen sein, die die Welt zu bieten hatte?“, fragte er sich. US-Präsident George W Bush bezeichnete die „Gitmo“-Insassen als die „Schlimmsten der Schlimmen“. Jeder einzelne von ihnen sei ein „Hardcore-Terrorist“.

Einige von ihnen waren das vielleicht, aber die meisten sicherlich nicht, sagte Neely. General Richard Myers, damaliger Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff, traf die lächerliche Behauptung, die Gefangenen in Guantanamo seien „so bösartig, dass sie sogar Hydraulikleitungen durchkauen könnten, um eine Boeing C-17 zum Absturz zu bringen“.

Meiste Guantanamo-Häftlinge unschuldig

Allerdings ging aus Pentagon-Statistiken hervor, dass mehr als die Hälfte der Gitmo-Häftlinge nichts getan hatte, was gegen US-Recht verstieß. Nur acht Prozent wurden terroristischer Aktivitäten verdächtigt.

Fast 90 Prozent der Gefangenen wurden für ein Kopfgeld von 5.000 Dollar an die US-Armee verkauft. In Afghanistan lag das jährliche Durchschnittseinkommen bei etwa 800 Dollar. Naheliegend, dass viele der Häftlinge von eigenen Landsleuten hereingelegt und den US-Streitkräften für ein saftiges Kopfgeld übergeben wurden.

„Die Menschen landeten in Gitmo und eigentlich gab es dafür überhaupt keinen Grund“, bestätigte der Soldat Eric Barclais. „Einige Leute wurden festgenommen, weil sie mit Nachbarn oder Familienmitgliedern Streit hatten.“

Zwar seien viele davon bei ihrer Verhaftung bewaffnet gewesen. „In Afghanistan hatte jeder Waffen“. Auch viele afghanische Bauern und Ziegenhirten landeten in dem amerikanischen Knast.

Häftlinge waren zwischen 12 und 93 Jahre alt

Erik Saar, ehemaliger Army-Übersetzer in Guantanamo, sagte, es seien „bestenfalls ein paar Dutzend“ der Insassen echte Terroristen gewesen. Colonel Lawrence B. Wilkerson, Army-Veteran mit 31-jähriger Laufbahn und damaliger Stabschef unter Verteidigungsminister Colin Powell, gab an, es hätten sich ab 2002 viele unschuldige Männer und Jungen unter den Gefangenen in Guantanamo Bay befunden. „Bush, Cheney und Rumsfeld vertuschten die Verhaftung von hunderten von ihnen, um ihre Pläne für die Invasion im Irak zu schützen.“

Die Häftlinge seien zwischen 12 und 93 Jahre alt gewesen. „[Cheney] war es völlig egal, dass die große Mehrheit der Gefangenen in Guantanamo unschuldig war“, sagte Wilkerson. „Hunderte Menschen mussten leiden, um eine Hand voll Hardcore-Terroristen in Schacht zu halten“, fügte er hinzu. Viele der unschuldigen Männer hatten Frauen und Kinder zuhause, wurden verschleppt und ihre Leben für immer ruiniert.

Wilkerson fügte hinzu, dass viele Inhaftierte „offensichtlich keine Verbindung zu al-Qaida und den Taliban“ hatten und einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Kein Wunder also, dass von den fast 800 Häftlingen, die seit Beginn des „War on Terror“ nach Guantanamo Bay gebracht wurden, nur wenige wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt werden konnten. Die überwiegende Mehrheit der Insassen sei irgendwann einfach freigelassen worden.

„Höllische Bedingungen“

Viele Gitmo-Häftlinge wurden brutal und sadistisch gefoltert, obwohl sie grundlos festgehalten wurden. Sami al-Haj, ein sudanesischer Kameramann von Al Jazeera, war auf dem Weg nach Afghanistan, als er in Pakistan festgenommen wurde. Er wurde sechs Jahre lang in Guantamo „unter höllischen Bedingungen“ festgehalten, ehe er wieder entlassen wurde.

Später berichtete er, dass viele der Gefangenen in winzigen Zellen von fünf Quadratmetern saßen und 24 Stunden pro Tag intensivem Neonlicht ausgesetzt waren. Man habe ihnen Essen und Trinken gegeben, das nicht einmal die auf der Insel lebenden Ratten und Leguane fressen wollten.

Ein Verhör konnte 28 Stunden dauern. Währenddessen mussten die Insassen stehen oder in der Hocke sitzen, Schlaf wurde verweigert. Einige von ihnen mussten sich komplett entkleiden und sich amerikanische oder israelische Flaggen um den Kopf wickeln.

Als Einschüchterungstaktik fesselte man die Männer, stülpte ihnen Säcke über die Köpfe und ließ die Hunde rein. Während das Pentagon behauptete, man habe die Hunde „nur“ zur Einschüchterung eingesetzt, gibt es auch ganz andere Berichte. So hätten die Soldaten auch Anweisungen erhalten, ihre Hunde die Gefangenen beißen zu lassen.

Sexueller Missbrauch

Al-Haj berichtete weiter, wie eine weibliche Soldatin einen Häftling sexuell missbraucht hatte. Erik Saar, oben genannter Army-Übersetzer, bestätigte den sexuellen Missbrauch in einem CBS-Interview. „Als sie vor dem Gefangenen stand, begann sie langsam, ihre Armeebluse aufzuknöpfen. Sie hatte … ein enges, braunes Army-Shirt. Sie berührte ihre Brüste und fragte, ob er diese großen, amerikanischen Brüste möge.“

„Damit wollte sie einen Keil zwischen den Häftling und seinen Glauben treiben. Würde sie es schaffen, ihn irgendwie sexuell zu erregen, wäre er aus islamischer Sicht unrein. Er sei somit nicht in der Lage, zu seinem Gott zu beten und dadurch Kraft zu gewinnen.

Am nächsten Tag würde er vielleicht bereit sein, mit ihr zusammen zu arbeiten. Sie begann, ihre Hose aufzuknöpfen und schob ihre Hände in ihre Hose. Sie lief um den Inhaftierten herum. In ihrer Hose schmierte sie sich etwas an die Hände, das Menstruationsblut zu sein schien, tatsächlich war es Tinte.“

„Sie zog ihre rote Hand heraus und sagte, sie habe ihre Monatsregel und werde ihn berühren. Sie fragte ihn: Findet Gott das gut? Findet Allah das gut? Sie schmierte die Tinte auf sein Gesicht und fragte ihn, wie ihm das gefällt.“ Der Gefangene sei ein wirklich schlechter Mensch gewesen, sagte Saar.

„Ich hoffe, er bleibt für immer in Gefangenschaft. Aber ich fühlte mich schrecklich. Ich fühlte mich schmutzig und abscheulich und denke, dass der Schaden, den wir in Gitmo anrichten, deutlich überwiegt. Ich bin der Meinung, dass dies nicht den amerikanischen Werten entspricht. Es ist der moralische Gegensatz dessen, wofür wir mit unseren Land stehen wollen.“

Waterboarding

Beim von der CIA auf Guantanamo praktizierten Waterboarding wurde die zu folternde Person auf ein Bett gebunden und ein Tuch über Nase und Mund gelegt. Anschließend wurde ohne Unterbrechnung Wasser auf das Tuch gegossen, bis das Opfer nicht mehr atmen konnte. Dies führte zu enormen Panikzuständen und Todesängsten.

Diese Foltermethode verstößt gegen die Menschenrechte und die Genfer Konvention. Im Jahr 2014 wurde bekannt, dass man das Waterboarding noch verschärfte, indem man die Köpfe der Opfer komplett unter Wasser drückte, bis sie tatsächlich fast erstickten. Bei einigen der Gefolterten gab es Langzeitschäden, wie etwa Störungen der Vitalfunktionen.

Nach massiver Kritik an der Bush-Regierung sagte ein Sprecher des Weißen Hauses, dass es sich beim Waterboarding um eine akzeptable Verhörmethode handle, und nicht um eine Foltermethode. Das US-Justizministerium gab Waterboarding laut einem CIA-Dokument aus dem Jahr 2004 als „grundsätzlich akzeptabel“ frei.

Erzwungene Geständnisse

Andere Gefangene seien gefoltert worden, um falsche Geständnisse abzulegen. Einer von ihnen war Fouad al-Rabiah. Andy Worthington, wichtigster Gitmo-Journalist dieser Zeit, schrieb in seinem Blog über diesen Fall. Die Soldaten hätten beim Verhör eingeräumt, dass man nichts gegen ihn in der Hand habe. Doch fügten sie hinzu, dass es keine unschuldigen Menschen gäbe.

Er solle irgendetwas zugeben, damit er verurteilt und bestraft werden könne. Er solle seine Strafe absitzen und könne danach zurück zu seiner Familie in seiner Heimat. „Sie werden diesen Ort keinesfalls als Unschuldiger verlassen“, wurde ihm gesagt. Es dauerte nicht lange, bis Fouad al-Rabiah damit begann, den Amerikanern zu sagen was sie hören wollten. Erst siebeneinhalb Jahre später wurde er aus Guantanamo Bay entlassen.

Zwangsernährung

Im Juli 2009 meldete Harpers, dass mindestens 30 Gefangene in Guantanamo, die in den Hungerstreik gingen, zwangsernährt wurden, was eine klare Verletzung der Genfer Konventionen darstellte.

Im Pentagon bezeichnete man die Folterpraktik liebevoll als „assistierte Fütterung“. Dafür wurden den Männern fingerdicke Röhren in durch die Nase bis in den Magen geschoben, was als extrem qualvoll beschrieben wurde.

Manchmal wurden die Röhren in die Lunge, statt in den Magen geschoben. Einige von ihnen erlitten innere Verletzungen und erbrachen Blut. Häftlinge sagten, es existiere nur eine Sache, die noch schmerzhafter gewesen sei, als das Einführen der Röhre: Das Herausziehen. Dafür stellten die Soldaten einen Fuß auf das Ende des Röhrchens, welches aus der Nase ragte, und zogen den Kopf des Häftlings ruckartig an den Haaren zurück.

Die Röhrchen sei voller Blut und Galle gewesen und ungereinigt dem nächsten Folteropfer in die Nase geschoben worden. Das medizinische Personal in Guantanamo habe zu keinem Zeitpunkt eingegriffen. Bei der „assistierten Fütterung“ habe man den Opfern in einigen Fällen Abführmittel eingeflößt und sie anschließend auf einen Stuhl geschnallt. Es sei ihnen nichts anderes übrig geblieben, als sich dort zu erleichtern.

Noch mehr Folter unter Obama

An seinem zweiten Tag als Präsident der Vereinigten Staaten erklärte Barack Obama im Jahr 2009: „Erstens kann ich ohne Ausnahme und Ausflüchte sagen, dass die Vereinigten Staaten niemanden foltern. Zweitens werden wir das Gefängnislager Guantanamo Bay schließen, spätestens ein Jahr nach dieser Order.“

Diese Order unterzeichnete er am 22. Januar 2009. Obama schloss das Lager in seinen beiden Amtszeiten als US-Präsident nicht. Laut einem Statement des Weißen Hauses aus 2014 gab es niemals Schließungspläne. Stattdessen wurde der Knast für Millionen Dollar modernisiert.

Häftlinge berichteten sogar über eine Verschlechterung der Bedingungen nach dem Amtsantritt Obamas. Er unterzeichnete den National Defense Authotization Act, wonach auch Terrorverdächtige mit US-Staatsbürgerschaft von nun an ohne Gerichtsverfahren für unbegrenzte Dauer festgehalten werden konnten.

Die Insassen wurden verprügelt, mit Pfefferspray in verschlossenen Zellen besprüht, Gliedmaßen ausgekugelt oder Toilettenpapier mit Reizgas besprüht.

Trump fordert „härtere Justiz“

Donald Trump sprach sich im Januar 2017 entschlossen gegen Freilassungen aus dem Knast aus. Man dürfe diese „hochgefährlichen“ Menschen nicht wieder „auf das Schlachtfeld zurücklassen“, schrieb er auf Twitter. Trump warb im Wahlkampf damit, Guantanamo in Betrieb zu halten und weitere „üble Typen“ dort unterzubringen.

Im November 2017 sagte Donald Trump während einer Kabinettssitzung, dass die USA „eine schnellere, härtere und stärkere Justiz“ benötigten. „Das was wir jetzt haben, ist ein Witz. Kein Wunder, dass so viel von diesen Dingen geschieht“.

Damit bezog er sich auf einen Anschlag in New York City am 31. Oktober. Durchgeführt von einem usbekischen Attentäter, inspiriert vom Islamischen Staat. Trumps Lösung: Umbringen und einsperren, oder umgekehrt. „Send him to Gitmo“ (Schickt ihn nach Guantanamo), sagte er gegenüber Journalisten. Gleichzeitig forderte er auf Twitter die Hinrichtung.

Guantanamo seit 1903 ein US-Stützpunkt

Während des Spanisch-Amerikanischen Kriegs besetzten die USA im Jahr 1898 die Guantanamo-Bucht. Bis 1902 stand die Insel unter der Verwaltung des US-Militärs. Ein Jahr später wurde mit den USA ein für 99 Jahre gültiger Pachtvertrag vereinbart. Bis 1934 bezahlten die USA jährlich 2.000 Dollar Miete, ab 1938 waren es 4.085 Dollar. Nachdem Fidel Castro im Jahr 1959 an die Macht kam, forderte dieser die Rückgabe der Bucht.

Der Vertrag, der 1934 unbefristet verlängert wurde, sei unter militärischem Druck unterzeichnet worden und darum ungültig. Da Castro den zugestellten Pacht-Scheck im Jahr 1959 einmal eingelöst hatte, betrachteten die USA dies als Fortsetzung des Vertrags und rückten bis heute nicht von der Basis ab.

Das am 11. Januar 2002 eröffnete Gefangenenlager wurde als Camp X-Ray bezeichnet, jedoch im April des selben Jahres aus Kapazitätsgründen wieder geschlossen und gegen das größere Camp Delta ersetzt.

Das Portal Moral Low Ground schreibt über Guantanamo: Im 19. Jahrhundert sagte der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.“ Wir sind zu jenen Ungeheuern geworden, die wir einst bekämpften.

Quellenangaben anzeigen
independent, andyworthington, harpers, setonhalluniversityschooloflaw (pdf), mcclatchydc, cbsnews, theatlantic, , andyworthington, cornelluniversitylawschool, reuters, harpers, igreport (pdf), icrcreport (pdf), morallowground
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