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10.05.1857: Beginn des britischen Völkermords in Indien


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Nach dem Beginn des Aufstands vom 10. Mai 1857 verübten die Briten in Indien den größten Völkermord der Menschheitsgeschichte, glaubt ein indischer Historiker. Nach seinen Berechnungen starben bis zu 10 Millionen Menschen.

Briten Indien Völkermord 1857
Briten Indien Völkermord 1857, Bild: Britische Ostindien-Kompanie (gemeinfrei), Bearbeitung: Gegenfrage.com

Nachdem die Briten in Indien die traditionelle indische Wirtschaftspolitik abgeschafft hatten und Bauern, Handwerker, Arbeiter und Künstler durch ihre Besatzer in solch hohem Ausmaß ausbeuteten, dass diese in vielen Fällen als Bettler endeten, wuchs der Unmut in der Bevölkerung gegen die Besatzer.

Hinzu kam, dass die Briten versuchten, Indien zu christianisieren. Als dann noch ein Gerücht aufkam, dass britische Soldaten ihre Patronenhülsen mit Rindertalg und Schweineschmalz behandelten, waren Hindus und Muslime sehr verärgert. Kühe gelten unter Hindus als heilig, Schweine unter Muslimen als unrein.

Aufstand der Hindus und Muslime wird niedergeschlagen

Am 10. Mai 1857 kam es in der indischen Stadt Meerut zu einer Revolte hinduistischer und muslimischer Soldaten gegen ihre britischen Besatzer. Bereits einen Tag später war Delhi in der Hand der sogenannten Aufständischen. In den folgenden Monaten wurden weite Teile des Nordens zurückerobert.



Der erhoffte Rückzug der Briten aus Indien blieb jedoch aus, im Gegenteil. Was folgte, war der totale Kahlschlag in der indischen Kolonie durch die Besatzer. Jeder Inder, der sich den britischen Eroberern widersetzte, wurde ermordet.

Viele Dörfer und Städte wurden komplett ausradiert, so der in Mumbai ansässige Historiker und Schriftsteller Amaresh Misra in seinem Buch „1857 – The Real Story of the Uprising“ (), welches im Jahr 2011 in englischer Sprache veröffentlicht wurde.

Die westliche Geschichtsschreibung gibt „100.000 tote indische Soldaten“ im Zuge der britischen Rückeroberung des Landes an. Laut Misra handelte es sich in den folgenden Jahren hingegen um bis zu 10 Millionen Menschen, die verschwanden und demnach durch die Briten ermordet wurden.

Größter Völkermord aller Zeiten?

Es handle sich um den „größten Völkermord in der Menschheitsgeschichte“, so Misra. Großbritannien habe den Status der globalen Supermacht demonstriert und an Indien mit extremer Brutalität ein Exempel statuiert.

Die Berechnungen der Opferzahlen beruhen auf drei Hauptquellen. Zwei davon sind Aufzeichnungen über die Zahl religiöser Widerstandskämpfer, die in Gefechten mit Briten getötet wurden. Dabei handelte es sich um islamische Mudschaheddin sowie hinduistische Kämpfer, welche sich beide dem Kampf gegen die britische Besatzung verpflichtet hatten.

Die dritte Quelle war eine britische Arbeitsstatistik, welche den Rückgang der indischen Bevölkerung von einem Fünftel bis zu einem Drittel in verschiedenen Regionen aufzeigte. Dabei handelt es sich jedoch um Schätzungen. Zwar wurden viele von Briten ermordet, viele Einwohner flohen jedoch auch in andere Regionen.

Zwei Versionen der Geschichte

Die Briten zweifeln an Misras Darstellung, wie etwa der Historiker Saul David, Autor von „The Indian Mutiny“ (Indiens Ungehorsam). Ein Buch, das sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt. David bezeichnete Misras Angaben als „übertrieben“. Andere Historiker jedoch, wie Amar Farooqui, Professor für Geschichte an der Universität Delhi, stimmen Misra uneingeschränkt zu.

„Es scheint ein langes Schweigen zwischen 1860 und dem Ende des Jahrhunderts zu geben, in dem die Stimmen der Einheimischen nicht erhört wurden. Erst jetzt werden diese Erzählungen wieder gefunden und es gibt offenbar noch eine andere Seite der Geschichte.“

Briten herrschten traditionell mit eiserner Faust

Wahr oder nicht? Jedenfalls war es nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass die Briten mit äußerster Brutalität gegen ihre Opfer vorgingen. So schlugen sie in den 1880er Jahren Aufstände in Burma (Myanmar) nieder. Sie führten Massenerschießungen durch und brannten bewohnte Dörfer vollständig nieder.

In den 1890er Jahren schlugen sie Aufstände verschiedener Stämme in Rhodesien (Zimbabwe) mit ebenso großer Brutalität nieder. Ähnliches ereignete sich in den 1900ern in Südafrika, als die Briten im Zweiten Burenkrieg die Taktik der verbrannten Erde anwendeten, wodurch das Land verwüstet wurde und Hungerkrisen ausbrachen. Sehr viele Zivilisten kamen dabei ums Leben.

Im Zweiten Burenkrieg wurden erstmals sogenannte „Concentration Camps“ errichtet, in denen zahllose Zivilisten starben. Darunter besonders viele Frauen und Kinder.

Während der im Westen wenig bekannten großen Hungersnot im Iran im Ersten Weltkrieg ließen die britischen Besatzer 40 Prozent der gesamten Bevölkerung bzw. 8 bis 10 Millionen Menschen verhungern. Diese Hungersnot wird als die schwerste Katastrophe in der persischen Geschichte bezeichnet.

„Ungehorsam“ oder „Freiheitskampf“?

In Großbritannien wird der Aufstand von 1857 als „Indischer Ungehorsam“ bezeichnet, in Indien als „Großer Freiheitskampf“. Letztendlich setzten sich die Besatzer durch und Indien sollte weitere 90 Jahre durch die Briten besetzt bleiben.

Quellenangaben anzeigen
GuardianSouth Asianist,  S. 209, Wikipedia (indisch)
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